Unser Bregenz in 20 Jahren

Der Verkehrsverein hat Menschen aus verschiedenen Berufen befragt. "Wie sieht die Welt in 20 Jahren aus?" Aus Platzgründen gibt es im Buch nur einen Auszug aus den umfangreichen und teilweise sehr persönlichen Sichtweisen. Hier finden Sie die kompletten Statements.


Willi Sieber, Österreichisches Ökologie Institut: Nur Kultur pur!
Mit einstimmigem Beschluss hatte der Bregenzer Stadtrat 2015 die gesamte Stadt zur offenen Kulturzone erklärt und sich in Folge selbst aufgelöst. Damit entzog sich die Stadt Bregenz in einer sensationellen Wende jener Sinnkrise, in die sie durch die wechselseitige Lähmung der politischen Kräfte geraten war.

Ab 2018 übersiedelte fast die gesamte Wohnbevölkerung in die umliegenden Gemeinden. Lediglich die Achsiedlung blieb als bewohnter Brückenkopf erhalten. Und in einem Innenhof im Zentrum verbarrikadierte sich eine Gruppe renitenter Rentner auf einem Bänkle unterm Bömmle und pflegte die Blümle am Brünnele. Man ließ sie gewähren.

Das gesamte bebaute Areal wurde mit Klarlack überzogen und so der Nachwelt im ungeschönten Zustand des Jahres 2020 hinterlassen. Die drei bedeutendsten Architekturzeugnisse – Kunsthaus, Bahnhof und GWL – sind über einen Hochsteg erschlossen. Die Achsiedlung erhielt den Status eines lebenden, begehbaren Labyrinths. Die Seestadt mutierte zum Stadtsee, einem Feuchtbiotop, auf dessen Oberfläche eine animierende 3D-Projektion verschiedene Bebauungszustände ausgesprochen wirklichkeitsnah imaginiert – realer als es die frühere Stadtregierung je zustande gebracht hätte. Im vormaligen Casino-Stadion ließ der abtretende Stadtrat noch das Denkmal des unbekannten Zahnarztes errichten – ein Akt sanfter Selbstironie. Die Pflege des gesamten Kulturgutes übernahm der eigens gegründete Verein für fairen Kulturgenuss für einen Zeitraum von 99 Jahren.

Infolge all dieser Ergebnisse eines Kulturverständnisses fern aller geschmäcklerischer Moden erfuhren auch die Bregenzer Festspiele einen ungeheuren Besucherzustrom, dessen sie nur durch einen gewaltigen Kraftakt Herr werden konnten: Sie ließen die Sunset-Stufen vom Westmolo über den gesamten Pfänderhang bis zum Gschlief hochziehen, wandelten die verlassenen Villen in VIP-Logen um und nutzten die Oberfläche der Bregenzer Bucht als gigantische Videowall für die nunmehr rund 70.000 Zuseher fassende Arena. Besondere Begeisterung löst dabei jener Verfremdungseffekt aus, der auf der sich ständig von spiegelglatt über sanftes Kräuseln bis zur bedrohlichen Brecherkulisse verändernden Wasseroberfläche entsteht.

Mittlerweile kann man mit Recht und stolz auf ein Ergebnis blicken, das die ganze Welt in Erstaunen versetzt – so weit sie es zur Kenntnis nimmt. Und es hat sich gelohnt: Heute wurde Bregenz von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt und vom Europäischen Rat zur Kulturhauptstadt Europas in Permanenz ernannt.




Christiane Feuerstein, Drehpunkt - Studio für ganzheitliche Bewegung: „When I´m sixty-four.....“ oder – mein Bregenz in 20 Jahren

Mit 64 werde ich den in diesem Sommer entstehenden Park im Schöller Areal genießen- er wird blühen und gedeihen- und ich kann dort morgens Qi Gong machen – bis dahin nicht mehr wunderlich beäugt ob dieser merkwürdigen langsamen Bewegungen zur „Pflege der Lebensenergie“. Vielleicht schließen sich 1x in der Woche Schüler aus der VS Rieden an , Büroangestellte in ihrer Pause oder einige noch rüstige Senioren aus dem Sozialzentrum. Neben den Hauptbuslinien gibt es Sammeltaxis, die Menschen ohne Auto mit schweren Einkäufen, Gehbehinderungen, kleinen Kindern und Kinderwägen oder bei schlechtem Wetter auf Nebenrouten ans Ziel bringen. Das umgesetzte Bewusstsein einer barrierefrei gestalteten städtischen Umgebung wird Menschen nicht mehr durch Stufen, schmale Zugänge, fehlende Geländer ausgrenzen. Parkbänke, in für ältere Menschen annehmbaren Entfernungen aufgestellt, ermöglichen eine selbstgewählte Gehstrecke, ein selbstgewähltes Tempo mit der Möglichkeit zum Innehalten dann und wann. Einschränkungen durch unwirtliches Wetter, Glatteis und Schnee ermöglichen sogar ein reges soziales Leben – soziale Bewegung in Innenräumen.

Was wird mir dann wichtig sein?
Selber weiter lernen und Wissen weitergeben, das man brauchen kann: Wie im Beatles-Song: Strümpfe stricken, Löcher stopfen, kleinere Reparaturen im Haushalt ausführen, Zeit mit den Enkeln verbringen, Geschichten erzählen. Menschen, die einem weiterhelfen, wenn man selber „nicht mehr ganz dicht ist“ oder Löcher in der Erinnerung bekommt (“...mending a fuse, when your lights have gone...“), selber in Bewegung bleiben. Die eigene Gehstrecke von vier Kilometern täglich, die einen vor Alzheimer und Inkontinenz schützen soll, noch lange bewältigen ist eines – vorankommen, sich in der Landschaft, in der Weite bewegen ein anderes seelisches Bedürfnis. Wenn erst die Berge und dann die Hügel zu hoch werden, lässt der Blick über den See die Seele aufleben. Sich den inneren Fragen stellen - „Woher komme ich – wohin werde ich gehen, wenn ich nicht mehr bin?“ Ganz konkret bedeutet das „Wohin komme ich noch?“ mit dem Bus, der Bahn, dem Sammeltaxi.

Wenn die eigene Mobilität abnimmt bleibt man stehen, ist bereit zum Zuhören, zum da-bleiben, da-sein. Das ist auch wichtig für die mobilen Menschen – eine Person, die stabil ist, sich nicht gleich selber in Bewegung setzt, schafft einen Fixpunkt und gibt Orientierung. Dafür braucht es Orte, Räume, Plätze. In unserem Klima auch öffentliche Räume, die vor Nässe und Kälte geschützt sind. Als ich 1990 nach Bregenz kam habe ich das erste Mal in meinem Leben einen Regenschirm gekauft. „Du bist jetzt in Bregenz- wenn man den ersten und den letzten Buchstaben weg lässt, ergibt das R-E-G-E-N “, sagte mein Mann.. In meiner Arbeit (Bewegungstherapie, Bewegungslernen) spielt das gelungene, gut abgestimmte und angemessene Zusammenspiel zwischen Ruhe und Bewegung eine große Rolle. Und ich werde sicher noch arbeiten in 20 Jahren Das Wissen darüber, wie wir innere und äußere Bewegung in Einklang bringen wird wichtiger werden. Je mehr äußere Bewegung möglich und jedem zugänglich ist, umso mehr wird es Orte und Rituale der Besinnung, des Ankommens, des Zur- Ruhe- Kommens brauchen, Möglichkeiten der Be- und auch Entschleunigung. Langsamer werden, in der Mobilität eingeschränkter werden, nicht mehr jederzeit an jeden Ort zu kommen, ermöglicht einen Standpunkt zu beziehen. Ohne Bewegung wird dieser vielleicht zu starr und statisch werden – da braucht es Begegnung mit anderen, jüngeren, beweglicheren. Es braucht Ungewohntes und kleinere Herausforderungen. Ich wünsche mir gelebtes Miteinander: Bewegung, Tanz , Musik und Spiel mit Senioren und Kindergartenkindern. Was werden junge Menschen in 20 Jahren in Bregenz vorfinden? Wer wird mit mir 64 und älter? Wer gestaltet jetzt, was in vielen Jahren erst sein mag? Wir sind schon auf dem Weg.




Strele Martin & Breuer Christoph, KAIROS
Wenn man zurückblickt, wie die Welt 1989 also vor 20 Jahren ausgeschaut hat, was sich seither getan hat - und mit welch wachsender Geschwindigkeit die Entwicklungen in den letzten Jahren abgelaufen sind – wird deutlich, dass die Welt in 20 Jahren vermutlich ganz anders aussehen wird.

Spürbar wird das nicht so sehr hier in Bregenz. wir haben viel "Pufferkapazität", im positiven wie im negativen Sinn. vielmehr wird das deutlich, wenn man den blick nach Außen, über Bregenz, Vorarlberg, Europa hinaus richtet. Menschen in Asien, die durch die Auswirkungen des menschengemachten Klimawandels bedroht sind. Menschen in Afrika, die durch unsere Konsumgewohnheiten daran gehindert werden, eigenständige Wirtschaftszweige aufzubauen. Menschen aus anderen Ländern, die hier bei uns leben, und durch eine Mischung aus Angst und Hass abgelehnt oder in Formen gepresst werden.

Wie könnte die Welt im Optimalfall aussehen? Ausgeglichener, Offener, Vielfältiger. Unterschiedlichkeit wird als Bereicherung und nicht als Gefahr gesehen. Menschen können sich niederlassen, wo sie eine Chance für sich sehen, die "Hautfarbe eines Menschens hat keine größere Bedeutung als seine Augenfarbe". Wir alle übernehmen wechselseitig Verantwortung für diese unsere gemeinsame Welt.

Was tun, damit es in diese Richtung geht?
Mit kritischer Distanz zu uns und unseren Handlungen und einem guten Schuss Humor, mit dem wir uns selbst nicht immer ganz so ernst nehmen. Unsere Machtansprüche, die mitunter als Hilfe verkleidet in Erscheinung treten, müssen wir entlarven und ablegen. Die Mitmenschen als potentielle Partner und nicht als Konkurrenten wahrnehmen.
Die Tugenden die es dazu braucht, wurden schon im Altertum formuliert: Weisheit, Gerechtigkeit, Mäßigung und Mut.

Unser Beitrag ist es, jeden Tag zu versuchen, einen richtigen Schritt in diese Richtung zu setzen. Dabei Fehler zu machen um daraus zu lernen, neue Ideen auszuprobieren, um das bisher nicht Vorhandene zu schaffen. Mit dem Social Business Konzept, das wir mit Kairos - Wirkungsforschung & Entwicklung umsetzen, versuchen wir aufzuzeigen, dass ein erfülltes, sinnstiftendes Leben und wirtschaftliches Überleben auch ohne Gewinnstreben funktioniert.



Dr. Thomas Jungblut, Arzt:
Im Jahr 2029 werde ich 70 Jahre alt sein. Die Stadt wird sich bis dahin, so wie die weitere Umgebung auch, stark verändert haben. Der Siedlungsraum Bregenz – er wird vielleicht anders genannt werden- wird sich von der Leiblach bis Wolfurt ,Lauterach, Hard  evtl. Fußach ausgedehnt haben und eigentlich fließend in die umgebenden Siedlungsräume von Dornbirn- Lustenau, Feldkirch-Rankweil, St. Margarethen-St. Gallen und Lindau-Ravensburg-Friedrichshafen übergehen. Wir werden ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelt haben.  Entwicklungsplanungen werden seit vielen Jahren sehr intensiv gemeinsam betrieben werden. Folge davon wird sein, dass die Hauptdurchzugsroute komplett mit Bahn in den Pfänder, der Bahnhof-Bregenz nach Wolfurt verlegt wird– dort werden auch die Dornbirner für internationale Verbindungen einsteigen-  , es wird  ein dichtes Netz an elektrisch getrieben öffentlichen Verkehrsmitteln bestehen, mit denn man sehr rasch zwischen Friedrichshafen und Feldkirch, Zwischen Dornbirn und St. Gallen hin und herfahren kann. Das Seeufer zwischen Bregenz und Lochau wird renaturiert werden. Bregenz wird sich am See weiter in Richtung Genuss und Kultur entwickelt haben. Drumherum wird sich eine sehr innovative und nachhaltige Industrie mit vielen Klein und Mittelbetrieben angesiedelt haben, die aufgrund der sehr hohen Lebensqualität hier keine Mühe hat, hochqualifizierte internationale Mitarbeiter zu gewinnen. Die Gesundheitsversorgung wird sich stark verändert haben. Es wird im stationären Bereich eine hohe Spezialisierung innerhalb der medizinischen  Fächer geben als unmittelbare Folge der stark gestiegenen Qualitätsanforderungen. Im ambulanten Bereich wird es wohnortnahe Zusammenschlüsse von Ärzten verschiedener Spezialisierung mit Allgemeinmedizinern geben. Die Patienten werden längere Zeit im ambulanten Setting betreut werden können und weniger stationär sein,  nicht zuletzt durch die weitere Entwicklung der Hauskrankenpflege und der ambulanten Hilfsdienste. Die Bregenzer Kulturveranstaltungen werden immer noch viele Leute anziehen, viele kommen aber auch wegen der zahlreichen gastronomischen Möglichkeiten. Wir werden uns hier sehr wohl im Zentrum Europas fühlen.



Hubert Dragaschnig, Theater Kosmos
Diese Perspektive ist mir zu kurzfristig, das sind ja nur 4 Legislaturperioden. Wahrscheinlich sieht die Welt in 20 Jahren noch ziemlich genauso aus wie heute, außer dass die sozialen und ökonomischen Scheren noch weiter auseinandergehen werden, dass das Nord-Süd-Gefälle noch steiler wird und die Ohnmacht des einzelnen noch unerträglicher.

Interessant erscheint mir, wie die Welt in 200 – 300 Jahren aussehen wird bzw. wie sie ausschauen soll. Ich bin ein Anhänger einer politischen und ökonomischen Weltgemeinschaft, die von einem zentralen politischen Gebilde geleitet wird – einer UNO – in einer Welt, in der es keine Nationalstaaten mehr gibt. Einer Welt, in der - wenn Kriege stattfinden – es ausschließlich Bürgerkriege sind, einer Welt, in der sich New York zu Ouagadougou verhält wie Bregenz zu Fontanella.

Wie sollen wir agieren, damit es in diese Richtung geht?
In dem wir uns zeigen und Position beziehen, Auseinandersetzungen führen, Zuhören und Erzählen, für Schwächere einstehen, Haltung und Zivilcourage an den Tag legen.

Was ist Ihr Beitrag?
Wenn ich einerseits meine Arbeit als Ordnung und Rebellieren verstehe, versuche ich andererseits so gut es geht, ein ungeordnetes, ein unordentliches Leben zu führen, damit niemand sagen kann, es sei alles in Ordnung.



Sandra Meindl, Integrationslehrerin
Wie schaut die Welt in 20 Jahren aus?
Alle bisherigen Schulen wurden abgerissen und neue Gebäude aufgebaut! Diese sind nach neuesten Methoden eingerichtet. Gesamtschulen für alle (Volksschule, Hauptschule, Gymnasium, Sonderschule) – alle Kinder lernen voneinander – die soziale Struktur ist das Wichtigste! Jede Schule ist in frohen Farben gehalten, Pflanzen stehen in jeder Klasse, der Pausenhof ist grün, ein Biotop und eigene Gärten (diese werden von den Schülern selbst betreut – deren Erträge werden in gesunder Jause und gesundem Mittagessen verwertet) sind angelegt. Alle Klassen sind auch für quirlige Schüler ausgerichtet, Stehpulte sind normal, ebenso Sportgeräte, wie Hometrainer, die das Lernen unterstützen, sind Pflicht. Die Lehrer unterrichten mit Unterstützung von Sport- und Theaterelementen, denn Lernen mit Bewegung und mit allen Sinnen ist zur Gewohnheit geworden! Gemeinsame Projekte, die alle Kinder aus allen Stufen mischt, werden regelmäßig veranstaltet. Entdeckt die Welt gemeinsam. Behinderte Kinder sind keine Außenseiter mehr, jeder kann damit umgehen, da sie täglich miteinander den Garten betreuen, die Jause richten, bei Projekten dabei sind… Es gibt für jeden Schüler und jeden Lehrer einen Arbeitsplatz. Die Schulklingel ist abgeschafft – jeder Schüler arbeitet nach seiner eigenen Konzentration, der Lehrer ist nicht mehr nur Wissensvermittler, sondern Coach. Die Klassenräume sind offen gehalten und nach Themen ausgerichtet (z.B. Im Raum A sitzt der Geografielehrer, der das Thema Regenwald behandelt – im Nebenraum ein anderer Geografielehrer, der die Wüste vermittelt…). Dies kommt Schülern und Lehrern entgegen, die Schüler haben nicht ständig den gleichen Lehrer, der Lehrer kann nach Vorlieben (und somit mit mehr Leidenschaft, Wissen, Erfahrungen – vielleicht war der Lehrer schon in diesen Ländern..) unterrichten. Die Direktion besteht aus einem Team (Verwaltung, Personal, Kreativer, etc.), diese werden alle fünf Jahre neu gewählt. Die Lehrer haben auch Erholungsräume. An jeder Schule gibt es einen fixen Beratungslehrer, der die ganze Woche zur Verfügung steht, für Eltern, Schüler und Lehrer.

Was tun, damit es in diese Richtung geht?
Grünflächen erhalten und neue Grünflächen bilden; die Lehrerausbildung nach diesen neuen Methoden gestalten; die Schulen finanziell und mit Fortbildungen in diese Richtung unterstützen;

Was ist Ihr Beitrag?
Ich versuche jetzt die Kinder zu weltoffenen, toleranten, aber auch kritischen Menschen zu erziehen. Meinen Unterricht mit Theater- und Bewegungselementen zu gestalten – propagiere dies, in der Hoffnung, dass immer mehr Lehrer dies auch machen (was ja manch einer schon tut).


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